Wenn Männer an Seminaren zu achtsamer Sexualität teilnehmen, dann ist ihnen die Verunsicherung oft anzusehen: Bin ich als Mann zu weich, wenn ich Intimität mit Bewusstheit verbinde? Was denken die anderen Männer über mich? Und macht mich zu viel Achtsamkeit uninteressant für die Frauen?
Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie sich die TeilnehmerInnen solcher Trainings schon nach wenigen Tagen verändern. Die Frauen lassen ihre Fassade meist schneller hinter sich. Sie zeigen ihre Emotionen recht ungeschminkt. Die Männer brauchen bis zur ersten Männer-Runde, in der sie komplett unter sich sind. Auch hier präsentieren wir uns zunächst von unserer starken Seite: Taxierend, einzelkämpferisch, unnahbar. Der Modus „die anderen Männer stehen in Konkurrenz zu mir“ – in dem wir uns bewusst oder unbewusst befinden – lässt sich nur schwer ablegen.
Mit entsprechenden Übungen werden dann auch wir plötzlich umsichtig, herzlich, unbeschwert und zugänglich. Es entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit – wir öffnen unser Herz. Doch wer genau in sich hineinhorcht, der spürt einen Wandel am Ende der Übung: Die Unbekümmertheit weicht der Scham. Wir sind es nicht gewohnt, unsere Muster aufzubrechen und uns von unserer „weichen“ Seite zu zeigen. Denn diese macht uns verletzlich.
Kampf statt Öffnung
Im Alltag, bei der Arbeit und selbst in unserem Liebesleben bauen wir einen Panzer auf. Dieses Verhalten ist verbunden mit Sätzen wie:
- Mann muss für seinen Erfolg und Status kämpfen
- Nur dann bringt man es zu etwas, ob nun beruflich oder privat
- Respektiert wird nur, wer sich kraftvoll und leistungsfähig zeigt
- Wer nicht mitspielt, der steht alleine da
- Frauen suchen einen starken Mann an ihrer Seite, kein weinerliches emotionales Wesen
Das geht bis hin zu dem Glauben, dass andere Männer dir im Weg stehen, wenn du dich für eine Frau interessierst. Du bist bereits in einer Beziehung? Dann könnten dir andere Männer „deine“ Frau wegnehmen. Das mag albern klingen. Aber genau solche Gedanken sind es, die in Eifersuchtsdramen enden.
Du bist der Meinung, derlei Glaubenssätze nicht zu kennen? Auch hier hilft die genaue Beobachtung deiner Gedanken, deiner Emotionen und deiner Handlungen. In der Regel hat jeder von uns solche Sätze mit auf den Weg bekommen und verinnerlicht – in unterschiedlichen Abstufungen natürlich. Durch schlechte Erfahrungen, im Rahmen deiner Erziehung oder übertragen von früheren Generationen.
Achtsame Prinzipien
Was hat all das mit Achtsamkeit zu tun? Nun, eine achtsame und bewusste Praxis kehrt die eben genannten Glaubenssätze genau um, in folgende Prinzipien:
- Status hat keine Bedeutung, du musst niemandem etwas vorspielen
- Selbstverwirklichung ist nicht von äußeren Faktoren abhängig
- Du bist kein abgegrenztes Individuum, sondern du stehst in Verbindung mit allen und allem
- Dein Gegenüber kann sich nur dann öffnen, wenn auch du dich öffnest
Selbst wenn diese Aussagen für dich schlüssig klingen, dann stehen sie unserem alltäglichen Handeln oft diametral entgegen. Mehr noch: Viele Männer fühlen sich von den dahintersteckenden Konzepten verunsichert. Sich als kerniger Kerl zu präsentieren, das kennen wir. Und es gibt uns Halt.
Es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: In unserer Pubertät – und auch später noch – lernen wir, dass markiges und unachtsames Verhalten durchaus belohnt wird. Ich habe in meinem Beitrag Männlichkeit – zwischen Feminismus und Machismo darüber geschrieben. Mir selbst geht es wie folgt: Wenn ich klischeehaft männlich agiere, dann erhalte ich teilweise deutlich mehr Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht. Diese Erkenntnis macht etwas mit uns Männern. Und die Achtsamkeit steht dabei gewiss nicht auf dem Siegertreppchen.
Du hast die Wahl
In einem Interview fragte ich Hanna Krohn, die sich viel mit dem weiblichen Begehren beschäftigt, warum diese Dominanz für mehr Interesse sorgt. Sie antwortete mir:
Es stellt sich die Frage, ob du überhaupt Interesse an einer Frau hast, die einen Mann interessant findet, der sich dominant und rücksichtslos verhält. Möchtest du dieser Mann sein?
Und weiter:
Idealerweise ist ein Mann als Mensch interessant und achtsam. Dann ist er sehr wahrscheinlich auch für andere interessante und achtsame Menschen attraktiv.
Eine Antwort, die für mich sehr heilsam war. Erfahrungen, Gespräche und selbst Hollywood-Filme sozialisieren uns dahingehend, dass nur die große Show gewinnt. Die Protagonisten darin sind selbstverliebte Macker, in Geld schwimmende Manager und sprücheklopfende Kraftpakete. Doch ist der potenzielle Preis all die Mühe wert? Wählst du Oberflächlichkeit und Schein, oder lieber Tiefgang?
In der Sexualität geht es uns ganz ähnlich. Auch da wollen wir beweisen, was wir „drauf“ haben. Animalische Sexualität kann großen Spaß machen. Doch wenn wir sie nur leben, um unsere Partnerin zu beeindrucken, dann sind Frust oder sexuelle Störungen die Folge. Wer als Mann nicht die Freuden einer bewussten Sexualität kennenlernt, der wird kaum echte Ekstase erfahren.
Männliche Qualitäten
Wie macht man es nun richtig, als Mann? Natürlich will keine Frau einen jammernden Gefährten an ihrer Seite, der nicht weiß, was er will. Und der deswegen nicht für seinen Weg einsteht. Doch das ist auch keineswegs damit gemeint, wenn es um die sogenannten „weichen“ Faktoren deines Herzens geht. Ganz im Gegenteil. In achtsamer Handlung stecken Qualitäten, die bei näherer Betrachtung äußerst attraktiv sind:
- Klarheit
- Innere Ruhe (statt Bedürftigkeit)
- Handeln und Verantwortung
- Selbst-Bewusstsein
- Toleranz
- Bewusstheit für andere Männer und Frauen, aber auch für die Schöpfung insgesamt
- Ungefilterte Intimität, Liebe und Nähe
Die Frau deiner Träume kann mit derlei Qualitäten nur wenig anfangen? Dann wird sie auf Dauer nicht die Partnerin sein, mit der du eine tiefe und erfüllende Beziehung führst. Hinzu kommt: Eine Frau steht auf klischeehaft männliche Eigenschaften? Dann ist sie meist genauso unsicher wie der Mann, den sie anhimmelt.
Schau dir einmal Männer an, die unsere Welt und dich nachhaltig geprägt haben. Egal, ob nun im Großen oder im Kleinen. Mahatma Gandhi, Barack Obama, der Dalai Lama, dein Vater und Großvater? Sie alle waren bzw. sind streitbar. Und doch haben sie ihre Kraft und ihr Charisma bewusst genutzt, um Gutes zu tun. Im Falle deines Vaters war es die Kraft, für dich da zu sein. Wenn Männlichkeit und Achtsamkeit zusammentreffen, dann entsteht daraus wahre Größe.
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Bilder: Andrew Bertram, Conner Bowe